Queeres Leben ist in Berlin ein wichtiger Teil der Stadtkultur: Es gibt Partys, Konferenzen, mediale Repräsentation. Doch wie offen ist die Stadt für Menschen arabischer Herkunft? Über queer-arabische Zugehörigkeitsfragen und Identität schreiben die Initiatoren von Queer Arab Barty.
Erkan und Nael schreiben für „Jeem“ und „Wir machen das“ über die Notwendigkeit, queere arabische Räume in Berlin zu schaffen.
Übersetzt aus dem Englischen von Elisabeth Meister
Wer einen Raum voller Queer- und Trans-Menschen arabischer Herkunft betritt, spürt oftmals diese unvergleichlich intensive Energie – eine Exaltiertheit, Offenheit und emotionale Großzügigkeit. Sie ist in unseren unterschiedlichen Kulturen und Traditionen einer Region verankert, die durch die gemeinsame Sprache verbunden ist. Unsere Historien sind reich an liebenswerten Divas, wunderlichen Interaktionen, fesselnden dramatischen Diskussionen und einer rückhaltlosen, absoluten Widerstandskraft gegen das Zum-Schweigen-Bringen queerer Stimmen in Mainstream-Gesellschaften. Für all dies finden wir umgangssprachliche Ausdrücke und kreative Klischees, die andere mit gerunzelter Stirn und faszinierten, verständnislosen Gesichtern zurücklassen.
Aber Räume, in denen wir uns selbst inszenieren können, in denen unser kulturelles Schaffen und unsere Gemeinschaften dieses wunderbare Gefühl von Freiheit und Freizügigkeit spiegeln, sind rar. Weder in Beirut noch in Berlin wachen wir einfach eines Morgens in einem sozialen Gefüge auf, das uns ohne Weiteres Raum für unsere Aktivitäten bietet; in dem wir einfach dazugehören. Vielmehr kämpfen wir nach wie vor um diese Orte. Wir navigieren Weißsein, Heterosexualität, Cisgender-Zentrismus, Eurozentrismus, Orientalismus, Rassismus und so viele weitere Formen der Bigotterie, nur um einem Gesellschaftsgefüge nahezukommen, in dem wir als queere Menschen aus dem arabischen Raum das Gefühl haben können, dass auch wir zählen.
Nehmen wir zum Beispiel den Christopher Street Day (CSD) in Berlin. Als massive, von der Stadt unterstützte Parade mit großen internationalen Sponsoren ist der CSD ein Event, das es ausnahmslos schafft, die Ausgrenzung zeremoniell zu veranschaulichen, der sich queere Schwarze und PoC oder Trans-Menschen in der Stadt regelmäßig ausgesetzt fühlen. Während meiner kurzen Teilnahme im letzten Jahr habe ich beobachtet, wie weiße Cisgender-Männlichkeit auf den zahlreichen Wagen, die durch die Straßen zogen, als ultimatives Sexsymbol auf ein Podest gestellt wurde. Uns anderen, Nichtweißen, Nicht-Cisgender und Nichtdeutschen, gab es das Gefühl, bestenfalls Poller zwischen Parade und Gehweg zu sein. Eine meiner persisch-deutschen Trans-Schwestern erinnerte lautstark daran, wie wichtig es sei, dass Pride-Events im Geiste von Marsha P. Johnson auch politische Proteste blieben. Ihr schlug nichts als höhnisches Gelächter entgegen, was unsere Unsichtbarkeit als „Andere“ nur verdeutlichte.
Es besteht also die Notwendigkeit, einen eigenen Raum zu schaffen, so viel steht fest. Die Räume, die uns als Araber*innen und Queers in Berlin zur Verfügung stehen, sind ohnehin begrenzt und nicht ohne jeweilige Spannungen und Komplexitäten. Zwischen politischen Ausrichtungen und kulturellen Tendenzen sind wir in einer Raumzeit mit wenigen Möglichkeiten erstarrt – queer und arabisch lässt sich für viele noch immer nicht zusammendenken. Und dadurch lassen sich soziale, kulturelle und persönliche Verschlingungen auf individueller wie gemeinschaftlicher Ebene nur schwer navigieren. Die Räume, die uns zur Verfügung stehen, tendieren stets in Richtung ästhetischer Performativität und kultureller Fetischisierung. Tiefer liegende Probleme, mit denen wir als queere Araber*innen zu kämpfen haben – Ablehnung durch die Gemeinschaft, Angst vor dem „Outing“ oder Mangel an geschützten Räumen –, werden häufig ignoriert. Kurzum, wir sitzen zwischen allen Stühlen: Wir sind zu arabisch, um queer zu sein, und zu queer, um arabisch zu sein.
Wenn Berlin eines bewiesen hat, dann in der Tat, dass es sehr queer ist. Aber für wen wird dieses Queersein kuratiert?
Diese künstliche Binarität von „arabisch versus queer“ reduziert unser Leben, unsere Erfahrungen und unsere Herkunft auf zwei Identitätskategorien. Sie löscht unsere ethnische, religiöse und linguistische Vielfalt aus. Und sie hindert uns auch daran, uns in dieser Stadt zugehörig zu fühlen. Wie kann uns Berlin zur Heimat werden, wenn seine Räume nicht jederzeit für alle unsere Identitäten verfügbar sind, sondern immer nur für einen Teil davon? In einer Stadt wie Berlin ist es ja nicht gerade schwierig, auf sichtbares Queersein zu stoßen. Wenn Berlin, von medialer Repräsentation und Workshops bis hin zu Partys und Konferenzen, eines bewiesen hat, dann in der Tat, dass es sehr queer ist. Aber für wen wird dieses Queersein kuratiert?
Ich spreche von einer Ausgrenzung, die jedoch für unseren Hummus, unsere Falafel, unseren Bauchtanz und unsere Körper gerne eine Ausnahme macht. Während queere Araber*innen auf Bühnen in der ganzen Stadt, unter der Regie unterschiedlichster Menschen, ganz offen in Jasmin, Aladin und all die anderen Figuren aus Tausendundeine Nacht verwandelt werden, wird weiterhin ohne Unterlass an der Konditionierung unserer schieren Existenz gearbeitet. Es sieht so aus, als entscheide die deutsche Gesellschaft probeweise, welche Art der Darstellung verträglich ist und dass unser Queersein nur eine Daseinsberechtigung hat, wenn wir eine „orientalisierte“ Art von Araber*innen produzieren können. Überrascht? Sollten Sie nicht sein. Während Anti-Flüchtlings-Ressentiments zunehmen, zeigte im vergangenen Jahr ein Artikel der ZEIT ONLINE, dass „Flüchtlingspornografie seit 2015 in Deutschland [...] virulent geworden ist“ (Amjadhid 2018).
Ein einfacher Name mit einfachem Ziel: Selbstentfaltung und Akzeptanz
Aber wir brauchen Räume, in denen wir kein Fetisch sind. In denen unsere Identitäten keine Inszenierung sind. In denen wir auf unsere eigene, authentische Art leben und atmen können, im Einklang damit, wer wir sind, wen wir lieben und von wem wir geliebt werden wollen. In denen unsere Sexualität und unser soziales Geschlecht nicht hegemonial wahrgenommen, studiert, analysiert, zur Sensation aufgebauscht und kommerzialisiert werden. Wenn ich mit meinen großen Neon-Ohrringen, auf denen „Habibi“ steht, meinem schulterfreien Outfit, das nackte Haut zeigt und mit dem ich mich in der Öffentlichkeit verwundbar fühle, aus der U-Bahn steige und Richtung Club gehe, möchte ich wissen, dass ich einen Raum betrete, in dem meine Sichtbarkeit nicht zu meinem Ableben führt – sondern lediglich zur Selbstentfaltung.
Das ist es, was wir mit Queer Arab Barty erreichen möchten. Ein einfacher Name mit einfachem Ziel: Selbstentfaltung und Akzeptanz. Mit unserem Raum für queere Araber*innen in Berlin wollen wir anderen queeren Räumen in der Stadt nichts wegnehmen, sondern vielmehr zeigen, wie queere Räume sein sollten: dass sich niemand wegen dem, was er ist, unwohl fühlen oder diskriminiert, angefasst oder gar hinausgeworfen werden sollte. Als Kollektiv beanspruchen wir queere Araber*innen in der Diaspora einen Raum, in dem wir zu uns selbst stehen können. Denn auch wir haben Räume verdient, die inklusiv, einladend, authentisch und vor allem sicher sind. Wir müssen in eine Bar, ein Café, einen Späti, ein Restaurant gehen können, ohne aufgrund unserer Herkunft, unserer politischen Ansichten oder unseres Status in diesem Land Angst haben zu müssen. Diese Räume für uns selbst zu schaffen, ist ein Versuch, uns die Stadt neu zu eigen zu machen, in die wir freiwillig oder notgedrungen gekommen sind oder gebracht wurden. In der wir sowohl Araber*innen als auch queer sein wollen – ohne jemals auch nur eine Sekunde darüber nachdenken zu müssen.
Neuen Kommentar hinzufügen